In dieser losen Reihe sprechen wir mit Kolleg*innen aus unterschiedlichen Bereichen und lassen sie von ihrem Berufsalltag erzählen.
Himmelsstürmer – Warum Freunde da sind
Ein Interview mit Giana Flösheimer
Wie klingt ein Buch wie Himmelsstürmer, wenn es vorgelesen wird? Um das herauszufinden, haben wir die Hörbuchsprecherin Giana Flörsheimer zum Gespräch eingeladen. Sie ist gerade dabei, unseren Roman 'Himmelsstürmer' einzusprechen – Szene für Szene, Stimme für Stimme. Im Interview erzählt sie, wie sie zu diesem Beruf gekommen ist, wie sie sich auf ein Projekt vorbereitet, und was ein gutes Hörbuch für sie ausmacht.

kontrabande: Fangen wir ganz am Anfang an: Wie bist du eigentlich Hörbuchsprecherin geworden?
Giana: Ich komme ursprünglich aus dem Marketing und habe als Marketingmanagerin einen Unternehmenspodcast betreut. Dort war ich als Host tätig, habe die Interviews geführt, geschnitten und veröffentlicht. Dabei habe ich gemerkt, wie sehr mir das Sprechen am Mikrofon liegt – und auch viel positives Feedback zu meiner Stimme bekommen. Das war der Auslöser, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen und den Schritt Richtung professionelles Sprechen zu wagen.
kb: Hast du eine klassische Sprecherausbildung gemacht – oder kam das über Umwege?
Giana: Ich habe tatsächlich eine klassische Sprecherausbildung gemacht. Es war mir wichtig, das Handwerk von Grund auf zu lernen – also nicht nur an der Stimme zu arbeiten, sondern auch an der Sprech- und Atemtechnik, Artikulation und Schauspiel.
kb: Gab es ein erstes Hörbuch oder Projekt, an das du dich besonders erinnerst?
Giana: Ja, mein erstes Hörbuch war eine Kurzgeschichte. Das war ein besonderer Moment – weil es das erste Mal war, dass ich mit meiner Stimme eine Geschichte zum Leben erwecken durfte. Ich erinnere mich an das Gefühl: ein bisschen Lampenfieber aber hauptsächlich ganz viel Freude.
kb: Wie hat sich der Beruf in den letzten Jahren verändert – technisch, aber auch vom Anspruch her?
Giana: Da ich noch nicht so lange in dem Beruf bin, kann ich diese Frage nicht beantworten. Grundsätzlich sehe ich heutzutage die Herausforderung, dass sich die vielen tollen Sprecherinnen und Sprecher gegen KI-Stimmen durchsetzen müssen. Meiner Meinung nach können KI-Stimmen bei E-Learning-Formaten sinnvoll sein, aber für echte Geschichten und Emotionen braucht es menschliche Tiefe.
kb: Was würdest du jemandem raten, der oder die in diesen Beruf einsteigen möchte?
Giana: Einfach machen! Trau dich zu sprechen, zu spielen, in Rollen zu schlüpfen. Es geht nicht nur um eine schöne Stimme – viel wichtiger ist es, Emotionen zu transportieren und sich auf die Figuren wirklich einzulassen. Schauspiel, Haltung, Präsenz – das alles gehört dazu.
kb: Du sitzt gerade mitten in der Produktion von Himmelsstürmer. Wie ist dein erster Eindruck von der Geschichte?
Giana: Anfangs dachte ich, es sei „nur“ eine Jugendgeschichte – aber beim Lesen wurde mir schnell klar, wie vielschichtig Himmelsstürmer ist. Es geht um tieferliegende Themen, um Identität, Familie, Herkunft, Freundschaft und Selbstfindung. Das macht das Hörbuch spannend – aber auch anspruchsvoll.

kb: Die Figuren sind ja ziemlich eigenwillig – Ben, Flipper, Elli, Kazumi … Gibt es jemanden, der dir besonders liegt?
Giana: Besonders gut lag mir Kazumi – mit ihrer überlegten, klaren Art. Aber auch Philip und Frau Menken fand ich sehr eingängig. Diese Figuren haben eine gewisse Ruhe, die mir persönlich auch entspricht und die ich daher stimmlich gut umsetzen konnte.
kb: Und wer hat dir das Leben eher schwer gemacht beim Einlesen?
Giana: Definitiv Elif! Ihre Art ist emotional sehr impulsiv und sie spricht sehr schnell – das war für mich herausfordernd.
kb: Wie bereitest du dich auf ein Hörbuch wie dieses vor? Liest du erst alles komplett oder arbeitest du direkt szenisch?
Giana: Ich lese das Hörbuch kapitelweise und bereite jedes Kapitel gezielt vor. Bei Himmelsstürmer habe ich jedem Charakter eine eigene Farbe zugewiesen und die Dialoge entsprechend markiert. Das hilft beim Wechsel zwischen den Stimmen.
kb: Gehst du dabei analytisch oder eher intuitiv vor? Was hilft dir, in die Figuren einzutauchen?
Giana: Beides. Ich analysiere die Figuren vorab – mache mir Notizen zur Persönlichkeit, zur Sprechweise, zur inneren Haltung. Beim Sprechen selbst arbeite ich dann sehr intuitiv. Ich nutze Mimik und Gestik, auch wenn mich niemand sieht – das hilft mir, körperlich in die Rolle zu gehen.
kb: Himmelsstürmer spielt in einem sehr realen Köln. Hörst du so etwas heraus beim Lesen?
Giana: Ich selbst habe keinen engen Bezug zu Köln, aber beim Lesen konnte ich mich gut in die Kulisse einfühlen. Es gibt eine gewisse Alltagsnähe, die ich stimmlich transportieren wollte.

kb: Die Sprache ist manchmal rotzig, manchmal poetisch, oft zwischen den Zeilen. Ist das ein Spannungsfeld, das du als Sprecherin gerne bespielst?
Giana: Absolut. Das ist genau das, was Himmelsstürmer so lebendig macht. Diese Wechsel zu gestalten – zwischen der frechen Direktheit und den leisen Zwischentönen – ist sprachlich eine wunderbare Spielwiese.
kb: Viele Szenen kippen schnell – mal lustig, dann wütend, dann traurig. Wie hält man das stimmlich durch?
Giana: Es geht gar nicht so sehr ums „Durchhalten“, sondern ums Einlassen. Wenn ich emotional bei den Figuren bin, kommt die stimmliche Umsetzung fast von allein. Das Authentische entsteht durch echtes Mitfühlen.
kb: Wie viel von dir selbst steckt in der Aufnahme – und wo ziehst du die Grenze zur Figur?
Giana: Da steckt sehr viel von mir drin. Ich beschäftige mich intensiv mit jeder Figur, nehme ihre Perspektive ein. Die Grenze zur Figur ziehe ich erst nach der Aufnahme. Beim Einlesen bin ich ganz in der Rolle. Zu Beginn der Aufnahmen habe ich sogar von den Figuren und Inhalten geträumt!
kb: Jetzt mal grundsätzlich gefragt: Hörbücher – was bringen sie eigentlich? Sind sie eher ein Zugang für Menschen, die nicht lesen wollen – oder eine eigene Form des Literaturerlebens?
Giana: Hörbücher sind eine wunderbare Möglichkeit, Literatur noch erlebbarer zu machen – besonders für Menschen, die wenig Zeit haben oder nicht gerne lesen. Beim Autofahren, Kochen oder Spazierengehen – ein Hörbuch passt sich dem Alltag an und schafft trotzdem Tiefe.
kb: Manche sagen: „Ich hab das Buch nicht gelesen, aber das Hörbuch gehört.“ Ist das für dich gleichwertig?
Giana: Ja, für mich ist das gleichwertig. Ein gutes Hörbuch bringt denselben Inhalt, aber mit zusätzlicher Atmosphäre. Es ist wie ein Film im Kopf – und manchmal kann das Hören sogar neue Ebenen öffnen, die beim Lesen vielleicht nicht so deutlich werden. Ich denke, so oder so ist es ein guter Zusatz und hilft, eine größere Zielgruppe zu erreichen.
kb: Was verändert sich für dich, wenn du ein Buch liest vs. wenn du es hörst – oder selbst einliest?
Giana: Wenn ich ein Buch lese, entsteht ein stilles Bild im Kopf. Beim Einlesen aber forme ich die Geschichte mit meiner Stimme. Ich bin nicht nur Zuhörerin, sondern Vermittlerin – ich trage das Erzählte in die Welt hinaus. Das ist eine ganz besondere Verantwortung. Mir ist es auch immer wichtig, die Vorstellung der Autorin oder des Autors zu integrieren und trotzdem meine Persönlichkeit miteinzubringen.
kb: Du hast ja Erfahrung mit verschiedenen Genres. Wie ist das bei einem Roman wie Himmelsstürmer, der zwischen Jugendbuch, Gesellschaftskritik und Alltagsrealismus pendelt?
Giana: Das macht das Buch besonders reizvoll. Es fordert mich auf verschiedenen Ebenen – mal ist Leichtigkeit gefragt, mal Tiefe, mal eine genaue Beobachtung des Zwischenmenschlichen. Ich fand es spannend, dass Himmelsstürmer so viele Themen vereint, ohne belehrend zu sein.
kb: Wie lange dauert so eine Produktion überhaupt – und wie viele Anläufe braucht es, bis ein Kapitel im Kasten ist?
Giana: Die Produktion hat etwa eineinhalb Monate gedauert. Manche Abschnitte liefen flüssig, andere brauchten mehrere Anläufe – je nachdem, wie komplex die Szene oder die Figur war. Aber das gehört dazu: Jede Aufnahme ist ein Prozess.
kb: Zum Schluss: Gibt es eine Stelle, auf die du dich besonders gefreut hast? Oder eine, die dich beim Sprechen selbst überrascht hat?
Giana: Ich habe mich auf viele Szenen gefreut – besonders auf die Szenen, in denen Kazumi eine Situation mit ihrer ruhigen, überzeugenden Art in eine neue Richtung gelenkt hat. Auch alle Dialoge zwischen Ben und Hänsel haben mir sehr gut gefallen. Überraschend fand ich, wie viele Parallelen ich zu Ben sehen konnte. In meiner Schulzeit habe ich eine ähnliche Erfahrung mit meinem Chemielehrer gemacht - er mochte mich nicht und hat mir das auf sämtlichen Wegen gezeigt.

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