
Format | Paperback |
Seiten | 620 |
Preis | 27,80 |
Veröffentlichungstermin | vorauss. 03.2025 |
ISBN epub | 978-3-911831-08-6 |
ISBN Printausgabe | 978-3-911831-09-3 |
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Richard Henry Dana Jr. (1815–1882)
Autor, Seemann und Rechtsanwalt
Richard Henry Dana Jr. wurde 1815 in Cambridge, Massachusetts, geboren. Er stammte aus einer angesehenen Familie und studierte an der Harvard University, musste sein Studium jedoch wegen einer Augenerkrankung unterbrechen. Um seine Gesundheit zu verbessern und neue Erfahrungen zu sammeln, heuerte er 1834 als einfacher Matrose auf einem Handelsschiff an, das von Boston nach Kalifornien segelte. Die Erlebnisse dieser zweijährigen Reise verarbeitete er in seinem berühmten Werk Zwei Jahre vor dem Mast (1840), das bis heute als ein bedeutendes Zeugnis des Lebens gewöhnlicher Seeleute gilt.
Nach seiner Rückkehr setzte Dana sein Studium fort und wurde Rechtsanwalt, spezialisiert auf Seerecht und den Schutz von Seeleuten. Sein Engagement galt den Rechten der einfachen Arbeiter, und er setzte sich für faire Arbeitsbedingungen sowie gegen Ungerechtigkeit auf See ein. Später war er auch politisch aktiv, unter anderem als Berater von Abraham Lincoln während des Amerikanischen Bürgerkriegs.
Dana verstarb 1882 in Rom. Sein Werk bleibt ein Klassiker der maritimen Literatur und ein wichtiges historisches Dokument über das harte Leben auf See im 19. Jahrhundert.
Zwei Jahre vorm Mast
Der Harvard-Student Richard Henry Dana Jr. tauscht 1834 das Studienzimmer gegen das harte Leben eines einfachen Seemanns. Zwei Jahre lang segelt er auf einem Handelsschiff von Boston nach Kalifornien und erträgt Stürme, harte Arbeit und die raue Disziplin an Bord. Seine lebendige Erzählung bietet einen seltenen Einblick in das Leben auf den unteren Decks und die frühe amerikanische Seefahrt. Ein fesselnder maritimer Klassiker, geprägt von Abenteuern, Entbehrungen und scharfsinnigen sozialen Kommentaren.
Übersetzung aus dem Englischen: Mac Conin
Leseprobe
Abreise
Der vierzehnte August war als Abfahrtstag für die Reise der Brigg Pilgrim festgesetzt worden – von Boston rund um Kap Hoorn zur Westküste Nordamerikas. Da die Pilgrim früh am Nachmittag in See stechen sollte, begab ich mich um zwölf Uhr mittags in voller Seemannskleidung an Bord, zusammen mit meiner Seemannskiste, die meine Ausrüstung für eine zwei- bis dreijährige Reise enthielt. Diese Reise hatte ich angetreten in der Hoffnung, durch einen vollständigen Wandel meines Lebens und eine lange Abkehr von Büchern und Studium eine Schwäche meiner Augen zu heilen. Eine Schwäche, die mich gezwungen hatte, meine gewohnten Tätigkeiten aufzugeben und für die es offenbar keine medizinische Hilfe gab.
Der Wechsel vom engen Gehrock, der Seidenkappe und den Glacéhandschuhen eines Cambridge-Studenten zu den weiten Duckhosen, dem karierten Hemd und dem getränkten Segeltuchhut eines Matrosen war zwar eine ziemliche Verwandlung, aber schnell vollzogen. Ich bildete mir ein, damit recht passabel als Seemann durchzugehen. Doch ein geübtes Auge lässt sich in solchen Dingen nicht täuschen. Während ich mich selbst für so salzwassererprobt wie Neptun persönlich hielt, war ich für jeden an Bord schon von Weitem als Landratte zu erkennen.
Ein Seemann hat eine bestimmte Art, seine Kleidung zu tragen, die ein Neuling niemals hinbekommt. Die Hosen sitzen eng an den Hüften und hängen dann lang und lose über den Füßen, das Hemd ist großzügig geschnitten, der flache, schwarz lackierte Hut sitzt tief im Nacken, mit einem halben Klafter schwarzes Band über dem linken Auge. Das schwarze Seidentuch ist auf eine Weise geknotet, die nur erfahrene Seeleute beherrschen. Dazu kommen unzählige weitere Kleinigkeiten, deren Fehlen einen Anfänger sofort entlarvt. Abgesehen von den Unstimmigkeiten in meiner Kleidung hätten vermutlich schon meine helle Haut und meine Hände gereicht, um mich von einem echten Seebären zu unterscheiden – einem, der mit wettergegerbtem Gesicht, weit ausgreifendem Schritt und schwankendem Gang seine sonnengebräunten, rauen Hände locker über Deck schwingen lässt, jederzeit bereit, ein Tau zu packen.
Mit all meinen Unzulänglichkeiten trat ich also zur Mannschaft und wir verholten das Schiff in den Strom, wo wir für die Nacht vor Anker gingen. Am nächsten Tag waren wir mit den letzten Vorbereitungen für die Reise beschäftigt – wir zogen die Stagsegel-Leinen ein, setzten die Royals, brachten Scheuerschutz an und nahmen unser Pulver an Bord. In der folgenden Nacht hatte ich meine erste Wache.
Die erste Hälfte der Nacht blieb ich fast durchgehend wach – aus Angst, den Ruf zum Wachwechsel zu überhören. Und als ich schließlich an Deck trat, war ich mir der Bedeutung meiner Aufgabe so bewusst, dass ich pflichtbewusst die gesamte Schiffslänge auf und ab schritt, bei jeder Wendung über Bug und Heck blickte und nicht schlecht staunte, als der alte Seebär, den ich ablösen sollte, sich seelenruhig unter der Langboot zusammenrollte, um ein Nickerchen zu machen. Seiner Meinung nach war das für eine klare Nacht in einem sicheren Hafen völlig ausreichend.
Der nächste Morgen war ein Samstag. Ein Südwind kam auf, und wir nahmen einen Lotsen an Bord, lichteten den Anker und begannen, uns gegen den Wind durch die Bucht zu kämpfen. Ich winkte meinen Freunden, die gekommen waren, um mich noch einmal zu sehen, und hatte kaum Gelegenheit, einen letzten Blick auf die Stadt und die vertrauten Wahrzeichen zu werfen – an Bord eines Schiffes bleibt keine Zeit für Sentimentalitäten.
Als wir die untere Hafengegend erreichten, stand der Wind ungünstig in der Bucht, sodass wir gezwungen waren, auf Reede vor Anker zu gehen. Dort blieben wir den Tag über und einen Teil der Nacht. Meine Wache begann um elf Uhr abends, und ich erhielt den Befehl, den Kapitän zu wecken, falls der Wind aus Westen aufkommen sollte. Gegen Mitternacht frischte er tatsächlich auf, und nachdem ich den Kapitän geweckt hatte, wurde mir aufgetragen, die gesamte Mannschaft zu rufen. Wie ich das angestellt habe, weiß ich nicht, aber sicher ist, dass mein Ruf kaum das raue, bootsmannstypische "A-a-ll ha-a-a-nds! Anker auf, ahoi!" gewesen sein dürfte.
Schon bald war das ganze Schiff in Bewegung – die Segel wurden losgemacht, die Rahen ausgerichtet, und wir begannen, den Anker zu hieven – unsere letzte Verbindung zum Heimatland. Ich selbst konnte kaum etwas zu diesen Vorbereitungen beitragen. Mein bisschen Wissen über Schiffe reichte nirgendwo hin. Die Befehle wurden in einer Geschwindigkeit erteilt und ausgeführt, dass ich nicht mitkam. Überall eilten Männer hin und her, dazwischen fremdartige Rufe und noch fremdere Handgriffe – ich war völlig überwältigt. Es gibt kaum ein jämmerlicheres Geschöpf als einen Neuling wie mich, der gerade sein Seemannsleben beginnt.
Schließlich erklangen jene langen, rhythmischen Rufe, die das Drehen der Ankerwinde begleiten, und wenige Augenblicke später waren wir in Bewegung. Man hörte das Wasser an den Bug spritzen, das Schiff legte sich in den feuchten Nachtwind und rollte in der schweren Dünung. Unsere lange, lange Reise hatte begonnen. Dies war im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚Gute Nacht‘ an mein Heimatland.
Erste Eindrücke – „Segel in Sicht!“
Unser erster Tag auf See war ein Sonntag. Da wir jedoch erst kurz aus dem Hafen waren und es an Bord noch viel zu tun gab, arbeiteten wir den ganzen Tag hindurch. Am Abend wurden die Wachen eingeteilt und das Schiff für die Reise in Ordnung gebracht.
Als wir an Deck gerufen wurden, um in Wachen aufgeteilt zu werden, bekam ich einen ersten Eindruck davon, wie ein richtiger Kapitän auf einem Schiff auftritt. Nachdem die Einteilung abgeschlossen war, hielt er eine kurze, aber einprägsame Rede, während er mit einer Zigarre im Mund über das Achterdeck schlenderte und die Worte zwischen den Rauchwolken hervorstieß: „So, Männer, jetzt geht die lange Reise los. Wenn wir gut miteinander auskommen, wird es eine angenehme Fahrt. Wenn nicht, dann erwartet euch die Hölle auf See. Alles, was ihr tun müsst, ist, eure Befehle zu befolgen und eure Arbeit zu machen wie Männer – dann wird es euch gut gehen. Wenn nicht, wird es euch schlecht gehen, das kann ich euch versprechen. Wenn wir an einem Strang ziehen, werdet ihr mich als umgänglichen Kerl erleben. Wenn nicht, dann als verdammten Halunken. Mehr hab ich nicht zu sagen. – Backbordwache, unter Deck!“
Da ich zur Steuerbordwache gehörte, also zur Wache des zweiten Maats, hatte ich die Gelegenheit, meine erste Nachtwache auf See zu halten. Samuels, ein junger Mann, der – genau wie ich – seine erste Reise machte, war in derselben Wache. Da er der Sohn eines Akademikers war und zuvor in einem Handelshaus in Boston gearbeitet hatte, stellten wir schnell fest, dass wir viele gemeinsame Bekannte und Gesprächsthemen hatten.
Wir unterhielten uns eine Weile über Boston, darüber, was unsere Freunde wohl gerade taten, über die bevorstehende Reise und vieles mehr, bis er schließlich an die Back ging, um seinen Ausguck zu übernehmen, und ich allein zurückblieb. Nun hatte ich Zeit zum Nachdenken. Zum ersten Mal nahm ich die völlige Stille des Meeres wahr. Der Wachoffizier schritt über das Achterdeck – ein Bereich, den ich nicht betreten durfte –, und vorne auf dem Vorschiff unterhielten sich ein, zwei Männer, doch verspürte ich wenig Lust, mich ihnen anzuschließen. So blieb ich ganz der Atmosphäre um mich herum überlassen.
So sehr mich die Schönheit des Meeres, die leuchtenden Sterne und die schnell dahinjagenden Wolken beeindruckten, konnte ich nicht vergessen, dass ich mich gerade von all den sozialen und geistigen Freuden des Lebens entfernte. Und doch – so seltsam es auch klingen mag – fand ich in diesen Gedanken eine gewisse Genugtuung. Ich hoffte, dass sie mir helfen würden, niemals gleichgültig gegenüber dem zu werden, was ich hinter mir gelassen hatte.
Doch all meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als der Wachoffizier befahl, die Rahen zu trimmen – der Wind drehte gegen uns. An den Blicken der Matrosen, die immer wieder nach Luv schauten, und an den dunklen Wolken, die rasch heranzogen, konnte ich deutlich erkennen, dass schlechtes Wetter bevorstand. Zudem hatte ich den Kapitän sagen hören, dass er erwartete, bis Mitternacht im Golfstrom zu sein.
Wenige Minuten später ertönten acht Glockenschläge, die Wachablösung wurde geweckt, und wir gingen unter Deck. Nun spürte ich zum ersten Mal die Unannehmlichkeiten des Seemannslebens. Der Raum, in dem ich untergebracht war, war vollgestopft mit zusammengerolltem Tauwerk, Ersatzsegeln, altem Werg und Schiffsvorräten, die noch nicht verstaut worden waren. Zudem gab es keine Kojen für uns, und wir durften keine Nägel einschlagen, um unsere Sachen aufzuhängen.
Das Meer war inzwischen rau geworden, das Schiff rollte schwer, und überall herrschte ein heilloses Durcheinander. Es war, wie die Matrosen sagten, ein einziges 'Tohuwabohu' – alles lag übereinander, aber nichts war greifbar. Eine schwere Trosse war auf meiner Seemannskiste verstaut worden, meine Hüte, Stiefel, Matratze und Decken hatten sich losgerissen, waren nach Lee gerutscht und unter Kisten und Tauwerk eingeklemmt oder beschädigt worden. Und als wäre das nicht genug, hatten wir kein Licht, um unsere Sachen überhaupt wiederzufinden.
Gleichzeitig spürte ich die ersten Anzeichen der Seekrankheit – diese lähmende Trägheit und Schwäche, die einen völlig handlungsunfähig macht. Ich gab den Versuch auf, meine Sachen zu ordnen, ließ mich auf ein Segel sinken und wartete nur darauf, dass jeden Moment der Ruf „Alle Mann an Deck!“ ertönen würde, den der heraufziehende Sturm unausweichlich machen würde.
Kurz darauf hörte ich die Regentropfen schwer und dicht auf das Deck prasseln. Die Wache oben hatte offenbar alle Hände voll zu tun – ich konnte die lauten, sich wiederholenden Kommandos des Maats hören, das Stampfen der Füße, das Kreischen der Blöcke und all die Geräusche, die einen heraufziehenden Sturm ankündigten.
Wenige Minuten später wurde die Luke aufgeschoben, und sofort drang der Lärm vom Deck noch lauter zu uns herab. Dann gellte der Ruf: „Alle Mann an Deck! Hoch mit euch und Segel einholen!“ Kaum war das Kommando gegeben, flog die Luke wieder zu.
Als ich an Deck kam, bot sich mir ein völlig neues Bild – und eine völlig neue Erfahrung. Die kleine Brigg lag hart am Wind und neigte sich in meinen Augen beinahe auf die Seite. Die schwere See krachte mit der Wucht eines Vorschlaghammers gegen den Bug, das Wasser schoss über das Deck und durchnässte uns sofort bis auf die Haut.
Die Fallen des Großmarssegels waren losgeworfen worden, die mächtigen Segel bäumten sich auf und schlugen mit einem Getöse gegen die Masten, das wie Donner klang. Der Wind pfiff durch die Takelage, lose Enden peitschten durch die Luft, unverständliche Kommandos wurden laut gerufen und sofort ausgeführt, während die Matrosen mit ihren rauen Stimmen beim Ziehen der Taue ihre traditionellen Rufe anstimmten.
Und mitten in diesem Chaos stand ich – ohne meine ‚Seebeine‘, schwer seekrank, kaum in der Lage, mich irgendwo festzuhalten. Dazu war es stockfinster. Und dann kam der Befehl: Ich sollte zum ersten Mal in die Wanten, um das Marssegel zu reffen.
Wie ich mich da oben gehalten habe, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Ich klammerte mich mit aller Kraft an die Rahen und versuchte, meinen Platz zu halten. Viel geholfen habe ich wohl nicht, denn ich erinnere mich, dass ich mich mehrfach übergeben musste, noch bevor ich die Marsrah wieder verlassen hatte. Doch schließlich war oben alles fest verstaut, und wir durften wieder unter Deck gehen.
Allerdings empfand ich das kaum als Erleichterung – unten herrschte ein heilloses Durcheinander, und dieser unerträgliche, krankmachende Gestank, der durch das Aufwühlen des Bilgewassers aus dem Schiffsbauch aufstieg, machte den Aufenthaltsraum kaum erträglicher als das kalte, nasse Deck. Ich hatte schon viele Berichte über das harte Leben auf See gelesen, doch in diesem Moment konnte ich mir nicht vorstellen, dass es noch schlimmer kommen konnte. Und das Schlimmste: Dies war erst die erste Nacht einer zweijährigen Reise.
An Deck ging es uns nicht viel besser, denn der Wachoffizier hielt uns ständig auf Trab und trieb uns mit dem Argument an, Bewegung täte uns gut. Dennoch war das immer noch erträglicher als die grauenhafte Enge unter Deck. Ich erinnere mich gut daran, wie ich mehrmals zum Niedergang ging, meinen Kopf hinausstreckte, sobald mich die Übelkeit überkam – und jedes Mal sofort Erleichterung verspürte. Es war eine Art natürliches Brechmittel.
Dieser Zustand hielt zwei Tage lang an.
Mittwoch, 20. August
Heute hatten wir die Wache von vier bis acht Uhr am Morgen. Als wir um vier Uhr an Deck kamen, hatte sich das Wetter merklich gebessert. Wind und Wellen hatten nachgelassen, und über uns funkelten die Sterne. Auch meine Stimmung hellte sich entsprechend auf, auch wenn ich noch immer schwach von der Seekrankheit war.
Ich stand mittschiffs an der Luvseite und beobachtete, wie der Tag langsam anbrach. Viel ist schon über den Sonnenaufgang auf See geschrieben worden – doch mit dem auf dem Festland kann er nicht mithalten. Es fehlt das Zwitschern der Vögel, das erste geschäftige Treiben der Menschen, das goldene Licht, das sich über Bäume, Hügel, Kirchtürme und Dächer legt und allem Leben und Wärme verleiht.
Doch auch wenn der eigentliche Sonnenaufgang auf See weniger spektakulär ist, gibt es nichts Vergleichbares zu den ersten Lichtstreifen, die über den östlichen Horizont ziehen und das dunkle, endlose Meer in ein ungewisses Zwielicht tauchen. Das Zusammenspiel aus dieser fahlen Morgendämmerung und der unermesslichen, tiefen Weite des Ozeans weckt ein Gefühl von Einsamkeit, Furcht und einer dunklen Vorahnung, wie es sonst kein Naturschauspiel vermag.
Mit zunehmendem Licht verfliegt dieses Gefühl allmählich, und wenn die Sonne schließlich über den Horizont steigt, beginnt der monotone Alltag eines Seetages.
Aus meinen Gedanken wurde ich jäh gerissen, als der Offizier rief: „Voraus dort! Klar machen zur Kopf-Pumpe!“ Ich musste schnell lernen, dass für Tagträumereien keine Zeit war – mit dem ersten Licht begann die Arbeit. Nachdem die ‚Faulenzer‘ – also Zimmermann, Koch, Steward und andere – geweckt und die Pumpe vorbereitet war, begannen wir mit dem täglichen Deckschrubben. Diese Prozedur, die jeden Morgen auf See durchgeführt wird, dauerte fast zwei Stunden, und ich hatte kaum die Kraft, sie durchzustehen.
Nachdem wir fertig waren, das Deck trockengewischt und die Taue ordentlich aufgeklart hatten, ließ ich mich erschöpft auf den Hölzern nieder und wartete auf sieben Glasen – das Signal zum Frühstück. Doch der Offizier bemerkte meine untätige Haltung und befahl mir, den Großmast von der Royal-Marsstenge abwärts einzufetten.
Das Schiff schwankte nun leicht, und ich hatte seit drei Tagen nichts Richtiges mehr gegessen. Ich war versucht, dem Offizier zu sagen, dass ich lieber bis nach dem Frühstück warten würde, aber ich wusste, dass ich ‚den Stier bei den Hörnern packen‘ musste. Zeigte ich auch nur einen Anflug von Schwäche oder Unlust, wäre mein Ansehen an Bord sofort dahin gewesen. Also nahm ich meinen Eimer mit Fett und kletterte zur Royal-Marsstenge hinauf.
Dort oben war das Rollen des Schiffs noch stärker zu spüren – je weiter man sich vom Mastfuß entfernte, der als Drehpunkt fungierte, desto heftiger wurden die Bewegungen. Der Geruch des Fettes, der meinen empfindlichen Magen zusätzlich reizte, tat sein Übriges. Mir wurde wieder schlecht, und ich war mehr als erleichtert, als ich endlich wieder auf das vergleichsweise feste Deck zurückkehren konnte.
Wenig später erklangen sieben Glasen, das Log wurde ausgeworfen, die Wache geweckt, und wir gingen zum Frühstück. Dabei erinnere ich mich besonders an die Worte des Kochs, eines gutmütigen Afrikaners: „So, mein Junge, jetzt bist du gründlich leergeräumt – kein Tropfen von dem Landrattenzeug ist mehr in dir. Jetzt musst du auf einen neuen Kurs gehen: wirf all deine Süßigkeiten über Bord und mach dich über ordentliches Pökelfleisch und Schiffszwieback her. Ich versprech dir, bis wir am Kap Hoorn sind, bist du so zäh und stark wie die anderen.“
Dieser Rat wäre wohl auch für so manchen Passagier nützlich, der sich vor der Reise mit kleinen Leckereien eingedeckt hat, um die Seekrankheit zu überstehen.
Ich kann kaum beschreiben, wie sehr mich ein halbes Pfund kaltes Pökelfleisch und ein paar Schiffszwiebacke veränderten. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Da wir bis Mittag Wache unter Deck hatten, blieb mir etwas Zeit für mich. Ich holte mir ein großes Stück kräftiges, kaltes Salzfleisch vom Koch und kaute bis zwölf Uhr darauf herum.
Als wir wieder an Deck gingen, fühlte ich mich endlich wieder halbwegs wie ein Mensch und konnte mich mit neuer Energie meinem Seemannshandwerk widmen.
Gegen zwei Uhr erscholl von oben plötzlich der laute Ruf: „Segel in Sicht!“ Kurz darauf entdeckten wir zwei Schiffe in Luv, die unseren Kurs direkt kreuzten. Es war das erste Mal, dass ich ein anderes Schiff auf offener See sah. Damals – und bis heute – hielt ich diesen Anblick für einen der eindrucksvollsten und schönsten überhaupt.
Die beiden Schiffe passierten uns in Lee und blieben außerhalb der Rufweite, doch der Kapitän konnte ihre Namen mit dem Fernrohr auf den Hecks entziffern: Es waren die Helen Mar aus New York und die Brigg Mermaid aus Boston. Beide steuerten westwärts – zurück in unser ‚geliebtes Heimatland‘.
Donnerstag, 21. August
An diesem Morgen ging die Sonne strahlend auf, der Wind stand günstig, und alles wirkte freundlich und einladend. Ich hatte mich inzwischen etwas an das Leben auf See gewöhnt und begann, meine regelmäßigen Pflichten zu übernehmen. Gegen sechs Glasen, also um drei Uhr nachmittags, sichteten wir an unserer Backbordseite ein Segel. Wie jeder Neuling an Bord war ich gespannt darauf, das fremde Schiff anzusprechen.
Es kam näher, setzte das Großmarssegel back, und beide Schiffe lagen Bug an Bug, sich verneigend und aufbäumend wie zwei Kriegspferde, die von ihren Reitern im Zaum gehalten werden. Es war das erste Schiff, das ich aus nächster Nähe sah, und ich war überrascht, wie sehr es sich in der ruhigen See auf und ab bewegte. Der Bug tauchte tief ins Wasser ein, dann sank das Heck, während der massive Vordersteven aufstieg und das glänzende Kupfer zum Vorschein kam. Heck und Stevenhaken triefen vor Wasser, als wären sie die von Salzwasser durchtränkten Locken des alten Neptun.
Auf den Decks drängten sich Passagiere, die beim Ruf „Segel in Sicht!“ heraufgekommen waren. Ihren Kleidern und Gesichtszügen nach zu urteilen, waren es Schweizer und französische Auswanderer. Zunächst rief man uns auf Französisch an, erhielt jedoch keine Antwort, und versuchte es dann auf Englisch. Es war das Schiff La Carolina, von Havre nach New York unterwegs. Wir baten sie, die Brigg Pilgrim aus Boston mit Ziel Nordwestküste Amerikas zu melden, fünf Tage auf See. Danach setzten sie ihre Fahrt fort und ließen uns zurück, unser endloses Meer weiter zu durchpflügen.
Der Tag endete angenehm; wir hatten nun beständiges, mildes Wetter und glitten in den gewohnten Rhythmus des Bordlebens hinein – unterbrochen nur von einem Sturm, einem vorbeiziehenden Schiff oder dem ersehnten Anblick von Land.