
ISBN | 978-3-911831-27-7 E-Book |
978-3-911831-28-4 Paperback | |
Format | 12,7 x 20,2 cm Paperback |
Seiten | 230 |
Veröffentlichungstermin | 05.2025 |
Falls du dieses Buch mit einer Widmung oder direkt bestellen möchtest, kannst du uns einfach eine Mail schicken.
Buch jetzt online kaufen:
Rezensionen
CATNIP
Vlog einer Segelreise
Ein Wharram-Katamaran, der kaum noch schwimmt. Ein Van, der kaum noch fährt. Und drei Menschen, die nirgendwo mehr hinwollen – außer weg.
Momo hat keine Ahnung vom Segeln, aber ein altes Boot. Lia flieht mit Katze, Kamera und Chaos vor Zoli – und Zoli weiß nicht, ob er sie suchen oder vergessen soll.
Zwischen den Lagunen von Huelva, im bröckelnden Niemandsland der Selbstverwirklichung, treffen ihre Wege aufeinander. Jeder trägt seine eigene Geschichte mit sich: von Flucht und Gewalt, vom Scheitern und Schweigen, vom Versuch, etwas zu finden, das sich wie ein Anfang anfühlt.
„Catnip“ erzählt vom Leben an Bord, von Vanlife und YouTube, vom Aufbrechen und Abtauchen – ein präziser Roman über Nähe, Distanz und Planlosigkeit.
Leseprobe 1
All diese YouTube-Segler, die ihre günstigen Boote aus den 80er Jahren umrüsteten, um über den Horizont zu segeln, hatten erst hunderte von Stunden damit verbracht, anderen YouTube-Seglern zuzusehen, wie sie ihre Boote umbauten, auf Inseln lebten, Hummer aßen, am Strand Kokosnüsse mit der Machete köpften und mit Bikinimädchen kaltes Bier tranken.
Nicht Momo. Moritz Wagner hatte sein Leben in Wuppertal zurückgelassen, war fort mit dem alten Rad, das er noch von einer Nordseetour mit einem Klassenkameraden hatte. Dieses Mal war er einfach weggefahren von allem, weg, weil dann alles hinter einem zurückblieb, und nach Süden, weil es einfacher war, draußen zu schlafen, wenn es warm war. Er war nie gesegelt, wollte nie ein Boot besitzen, hatte sich nie für Vanlife, Narrowboats, Tiny House, Mobile-Nomads oder andere Gen-Z-Fluchtpläne interessiert, weil er zu sehr damit beschäftigt war, sein eigenes Leben und das der Menschen um ihn herum zu vermasseln. Dass er in die Seglerszene gestolpert war, war reiner Zufall, und Ahnung hatte er immer noch keine.
Er stand in der offenen Luke seines uralten Katamarans, lehnte sich hinaus und führte den Bandschleifer über den Balken, der die beiden Rümpfe verband. Er wechselte das Schleifband, sah, dass es das letzte war und er in die Stadt musste, um mehr zu kaufen. Das spanische Wort für Schleifpapier musste er noch mal googeln.
Er nahm seine Schutzbrille ab und wischte sich den verschmierten Schweiß von der Nase. Er hätte wirklich eine Maske tragen sollen. Seine Arme und Hände waren mit blassem, feinem Staub bedeckt. Er versuchte, sich vorzustellen, wie seine Lungen von innen aussehen mochten.
Er stellte den Bandschleifer auf den Balken, von wo er prompt herunterrutschte und auf den harten Drecksboden zwischen den Rümpfen fiel und dabei das Kabel aus der Steckdose riss.
Momo stieg die drei Stufen hinunter in den Backbordrumpf. Dort im Vorschiff hatte er nicht genug Kopffreiheit, um sich aufzurichten. Er duckte sich und zog das staubige Sweatshirt über den Kopf. Er holte ein sauberes Hemd aus einer Plastiktüte und blickte kurz in den kleinen Spiegel. Sein Haar war lang geworden, von schmutzig-blond auf bleich und struppig. Er ging zurück an Deck, zog das T-Shirt über und sah an sich herunter. Eine Tasche seiner Cargo-Shorts war ausgerissen. Ging aber noch, und er hatte gleich drei Stück bei Lidl gekauft, die anderen beiden waren noch wie neu. Auf dem linken Knie ein verkrusteter grauer Farbrest. Was soll’s, ist ja nur der Baumarkt.
Er kletterte die Leiter hinunter, die am Heckbalken lehnte. Der Katamaran ruhte auf mehreren Holzstämmen, die direkt auf der trockenen Erde lagen.
Der Boden fiel sanft zum Wasser hin ab, endete nur wenige Meter weiter unten im glitzernden Schlamm. Dort stand wieder der große, graue Vogel, regungslos, seinen langen Schnabel nach unten auf das stille Wasser gerichtet. Er war immer dort, pirschte langsam auf dünnen Beinen durch das flache Wasser.
Momo zog sein Fahrrad unter dem Boot hervor. Der Aluminiumrahmen war verkratzt, und Gepäckträger, Schrauben und Kette waren in der salzigen Luft rostbraun geworden. Die roten Roll-Top-Taschen hingen schlapp herunter. Die Steuerbordtasche hatte einen Riss von dem Sturz in den Pyrenäen.
Steuerbordtasche?
Er grinste.
Er hatte nur noch drei Tage Zeit, bevor der Besitzer der Werkstatt, neben der das Boot stand, ihn in den Fluss schieben würde.
Auf der anderen Seite des Flussarms lag ein schmaler Streifen festes Land, grasig und mit niedrigen Büschen bewachsen, und dahinter wieder Wasser. Vom Deck aus konnte er weit über die Sümpfe blicken, Wasser, dann Land, dann wieder Wasser, und am Horizont erkannte er das Schimmern des offenen Meeres. Dahinter lag Afrika.
Leseprobe 2
Zoltan Balogh hatte nie etwas besessen, wovon er hätte weglaufen können. Angefangen mit dem Kinderheim in Szekesfehérvár, über die wechselnden Pflegefamilien in Budapest, die Uni und den Umzug nach Frankreich, bis hin zu den paar Jobs: Er war immer irgendwann weg, nahm nie etwas mit, baute nie etwas auf. Vom Heim zu Pflegeeltern. Wieder zum Heim. Wechselnde Schulen, austauschbare Menschen, Wohnungen, Jobs, Mädchen. Er hatte Glück gehabt. Er hatte Kids gekannt, die sich in wirklich kaputten Situationen wiedergefunden hatten, ausgenutzt oder belästigt oder schlimmer. Jungen und Mädchen. Er war nicht verbittert. Er wusste nicht, wie es besser gehen könnte, wusste, dass selbst richtige Kinder in Normalfamilien die wildesten Sachen erleben konnten. Aber im System wurde jeden Tag neu gewürfelt, und so war es auch geblieben. Als Lia vor einigen Wochen angefangen hatte, ihn zu fragen, was er denn nun eigentlich im Leben wolle , und ihm mehrfach, aber deutlich klargemacht hatte, dass der YouTube-Kanal nun wirklich eigentlich ihr Kanal war, hatte er schon das Rappeln der Würfel im Becher vernommen. Es war ja auch richtig. Es war ihre Idee gewesen, sie hatte den Van und den Vanlife-Kanal schon, bevor sie ihn traf. Das mit dem Filmen ging ihm immer auf den Nerv. Er selbst war nie viel zu sehen, die Leute wollten vor allem Lia sehen, das war klar. Und ja, er hatte eigentlich nicht viel zum Van oder zu den Kosten überhaupt beigetragen. Und das, obwohl es manchmal sehr knapp war. Und obwohl er eigentlich genug Geld gehabt hätte. Meistens fuhr er, reparierte die alte Kiste, half Lia mit der Technik. Er war eigentlich Systemadministrator. In einem Computergeschäft an der französischen Mittelmeerküste hatte er beobachtet, wie ein Mädchen sich nach einer SIM-Karte erkundigte und war dazu getreten. Sie wollte ein Tablet und einen Computer gleichzeitig verbinden und er hatte sich eingemischt, selbst überrascht, aber dann doch erklärt, ausgesucht und vorgeschlagen. Er war dann mit dem Mädchen zu ihrem Van gegangen, um ihr einen mobilen Router zu installieren. Das war nun zwei Jahre her. Er half ihr mit YouTube, verwaltete ihre Präsenz online, plante die Backups, verwaltete und katalogisierte für sie die Unmengen an Dateien. Aber all das konnte sie auch selbst. Und wenn sie da saß an ihrem MacBook, Videos editierte oder Anfragen beantwortete, wusste er, dass sie ihn eigentlich gar nicht benötigte.